Die kleinen Unterschiede zwischen den Führungskräften

Dem grammatischen Geschlecht zum Trotz mangelt es der bundesdeutschen Führungskraft nach wie vor an Weiblichkeit. Eine verpflichtende Quote löst das Problem jedoch am Thema vorbei.

Was ist das eigentlich für eine Kraft, die da führt? Wo kommt sie her und wo führt sie hin?

Das digitale Wörterbuch der deutschen Sprache verzeichnet die ersten Verwendungen des Wortes Führungskraft im heutigen Sinne in den frühen Nachkriegsjahren. Den economic man, das von Fließbandarbeit geprägte Menschenbild des Taylorismus, hatte das Land hinter sich gelassen, ebenso die Entbehrungen und die Dominanz des Krieges.

Entmannt und entmenschlicht

Das Wort Führer war von seinem wohl bekanntesten Vertreter in einer Form entmenschlicht worden, dass es zumindest alleinstehend nie wieder verwendet werden konnte, ohne anklagend auf den Bezeichneten zu deuten. Es scheint, als wollte das Deutsche nicht noch einmal einen einzelnen Menschen andere führen lassen und erschuf sich mit diesem neuen Wort einen Begriff, der einerseits physikalisch daherkam und andererseits die Möglichkeit bot, viele kleine Kräfte zu einem großen Ganzen zu vereinen. Längst hatte im aufstrebenden deutschen Wirtschaftswunder nicht mehr nur eine Person im Unternehmen das Sagen. Mehr und mehr wurden Führungsaufgaben in verzweigte Hierarchien bis auf Abteilungsebene heruntergebrochen. Ein ganzes Konglomerat von kleinen und mittleren Führungskräften strebt bis in die Spitze der Führung eines Unternehmens, in dem heute Partizipation und Mitgestaltung regieren. Mit dieser fortschreitenden Humanisierung der Arbeit ging gleichzeitig eine Entpersonalisierung besagter Führungskraft einher.

Ein neues Geschlecht

Und grammatikalisch weiblich war sie nun, die Kraft. Es hat ihr nichts genutzt. In unserer Vorstellung formt sie noch immer das Bild eines typischen Mannes. Nun ist dieses Bild einerseits vor unserem geistigen Auge präsenter, da es einfach mehr männliche Führungskräfte gab und noch immer gibt, andererseits stehen sich hier womöglich einander feindlich gesinnte Idealvorstellungen gegenüber.

Auf der weiteren Suche nach der Herkunft des Wortes Führungskraft stieß ich auf einen Artikel der Zeit aus dem Jahre 1951. Der Text lobt die geringe Arbeitslosigkeit in Wuppertal durch die ungewöhnlich hohe Anzahl beschäftigter Frauen in der Textilindustrie.

„Der aufgeschlossene, moderne Betriebsführer allerdings weiß, daß die Bindung an den Betrieb, daß die innere Arbeitsbefriedigung die Leistung stützen, und er sucht sich weibliche Führungskräfte für die Arbeiterinnen, welche mit fachlicher, betrieblicher Tüchtigkeit sozialpädagogische Fähigkeiten verbinden.“

Sucht er denn wirklich, der moderne Betriebsführer schon seit den 50er Jahren nach mehr Gleichstellung in der Führungsetage? Und warum wird er nicht fündig? Sucht er womöglich an den falschen Stellen oder ziert sich gar das Weib? 

Idealvorstellung

Wie genau soll sie denn sein, die optimale Führungskraft? Studien haben ergeben, dass Führungskräfte als erfolgreich angesehen werden, wenn sie zum Beispiel die Eigenschaften KompetenzDominanz und Aufgabenorientierung aufweisen. Fragt man jedoch danach, welche die bevorzugten Eigenschaften einer Frau sind, werden Fürsorge, Wärme und Bindungsorientierung genannt – Eigenschaften, die nun so gar nicht an die Chefetage denken lassen. Forscher haben hierzu Probanden aus einem Beschreibungsindex von 92 Adjektiven diejenigen auswählen lassen, die als besonders charakteristisch für Männer angesehen wurden. Aus der gleichen Liste ließen sie typische Eigenschaften für Frauen benennen und glichen beide Ergebnisse mit den Eigenschaften einer repräsentativen Führungskraft ab. Das Ergebnis übertraf in seiner Eindeutigkeit alle Erwartungen. Während sich 60 Adjektive sowohl zur Beschreibung eines typischen Mannes sowie einer typischen Führungskraft eigneten, deckten sich nur acht Begriffe aus den Gruppen Frauen und Führungskräfte. Diese Studie zum sogenannten Think-Manager-Think-Male-Phänomen wurde seit den 70er Jahren mehrfach wiederholt. Und obgleich sich inzwischen die Zahl gemeinsamer Eigenschaftswörter für Frauen und Führungskräfte geringfügig erhöht hat, blieben die männlichen 60 Entsprechungen unverändert.

Ein Teufelskreis

Was bedeutet das? Wenn eine Frau sich in eine Führungsrolle begibt, widerspricht sie folglich entweder dem Idealbild einer Führungskraft oder dem einer typischen Frau. Sie kann sich bemühen, betont dominant zu agieren und man wird ihr mangelnde Authentizität und Weiblichkeit vorwerfen. Verhält sie sich hingegen bindungsorientiert und fürsorglich, wird man ihr das notwendige Durchsetzungsvermögen absprechen. Aus Angst durch ihr weibliches Sein zu scheitern, droht die Gefahr der Ablehnung in Folge ihres männlichen Handelns. Beide Handlungsmöglichkeiten erschweren ihr die Ausübung ihres Führungsauftrages und benachteiligen sie gegenüber männlichen Kollegen. 

Je weiblicher, desto schwieriger

Diesen wahrgenommenen Mangel an Eignung für eine Führungsposition erlebt die Frau bereits im Bewerbungsprozess. Forscher haben dazu den Zusammenhang von Attraktivität und Geschlecht in der Bildung eines Vorurteils im Hinblick auf angebliche Fähigkeiten untersucht und kamen zu dem Schluss: Je attraktiver, und damit weiblicher, eine Frau wirkt, um so schlechter sind demnach ihre Chancen bereits im Bewerbungsprozess überhaupt als potentielle Führungskraft wahrgenommen zu werden. Bemerkenswert dabei ist, dass attraktive Frauen im Gegensatz zu unattraktiven Frauen bei gleicher Leistung und auf gleicher Ebene selbst von ihren Geschlechtsgenossinnen schlechter bewertet werden. Die Erwartung, dass Frauen sich besser in andere Frauen einfühlen können, sich der Vorurteile, mit denen sie täglich im Berufsleben zu kämpfen haben, bewusst sind und folglich sorgfältiger urteilen, enttäuscht auf ganzer Linie. Eine Durchführung derselben Studie mit männlichen attraktiven und unattraktiven Probanden ergab interessanterweise das Gegenteil. Attraktivität unterstützt folglich Männer und behindert Frauen auf der Karriereleiter.

Was ist schön?

Wann bezeichnen wir denn eine Frau als attraktiv und was verbinden wir damit? In seinem äußeren Erscheinungsbild orientiert sich das weibliche Schönheitsideal stark am Kindchenschema (große Augen mit langen Wimpern, volle Lippen, runde Wangen). Das hat zwar den Effekt der Zurückweisung von Aggression, was im Wettbewerbskontext von Vorteil ist, erzeugt aber auch einen Beschützerinstinkt, der von verminderter Leistung ausgeht, weil die Frau näher an das Kind gerückt wird. Weiter machen Frauen seit frühester Jugend die Erfahrung, Aufmerksamkeit und Zuspruch aufgrund von Attraktivität zu erfahren. Eine geschminkte, auch in ihrer Kleidung weiblich betonte Frau gilt als ‚gepflegt‘, wer sich dem verweigert, wird mit Ablehnung und Abwertung bestraft. Mit Rouge betonte Wangen signalisieren sexuelle Erregung, ein Fehlen dieser Rötung der Wangen wird mit schwacher Gesundheit oder sogar Krankheit assoziiert. Hohe Schuhe verlängern optisch die Beine und verunsichern gleichzeitig den Gang. Die figurbetonte Kleidung von Frauen unterstreicht das Geschlecht in der Mann-Weib-Parität (schmale Taille, breite Hüften) und verkleinert gleichzeitig die Gestalt. Die enge, figurbetonte Kleidung nimmt Frauen die Möglichkeit, das gleiche Maß an Raum einzunehmen wie Männer, deren breitbeiniges Sitzen oder Stehen sozial akzeptiert ist und wohlwollend mit Selbstsicherheit und Standhaftigkeit assoziiert wird. 

Kurzer Exkurs in die Geschichte

Wie kam es zu diesen unterschiedlichen Bildern? Während es noch bis in die Mitte des 18. Jh. keine so strenge geschlechtsspezifische Trennung von Erwerbs- und Hausarbeit gab, entwickelte sich mit zunehmender Industrialisierung eine Abdrängung der Frau ins Private. Leisteten bis dahin beide Geschlechter gleichermaßen Arbeit im Gesamthaushalt, im Haus, auf den Feldern oder im Handwerk, konnten nun mit zunehmendem Wohlstand, aber auch mit dem Einsatz effizienter Maschinen, Frauen von schwerer Arbeit entlastet werden. Zur gleichen Zeit entstand das Konzept der Kindererziehung im Haus, welche ebenfalls die Frauen übernahmen. Dies hatte zur Folge, dass sie mehr und mehr aus der Einflussnahme im öffentlichen Raum verschwanden und von nun an für die unbezahlten, den Erwerb unterstützenden Arbeiten im Haus zuständig wurde, während die Arbeit des Mannes sich auf den wirtschaftlichen Erwerb konzentrierte. Aus dieser neuen Polarisierung der Geschlechter wurde eine weibliche Rolle konstruiert, der im nächsten Schritt biologische Eigenschaften und Ursachen zu Grunde gelegt wurden. Die so geschaffene wirtschaftliche Abhängigkeit und gesellschaftliche Entmachtung der Frau wurde somit legitimiert und die damit einhergehende Hierarchie als von der Natur vorgesehen erklärt. Aufbegehren oder Zuwiderhandlungen wurden mit der Abwertung „nicht weiblich, widernatürlich“ abgestraft.

Hartnäckige Stereotype

Nun ist das lange her und die Frau ist ohne Zweifel nicht nur längst im Berufsleben angekommen, sondern kann überwiegend gleichwertige oder sogar höhere Bildungsabschlüsse vorweisen. In den Führungsetagen bleibt sie unterrepräsentiert. Diese weiblichen und männlichen Stereotype wirken hartnäckig in uns fort. Einerseits, weil das Geschlecht die erste und damit entscheidende Möglichkeit der Kategorisierung für uns darstellt und andererseits, weil diese Klischees von Männlichkeit und Weiblichkeit ständig in den Medien, in der Mode aber auch in der Werbung verstärkt werden. Frauen werden dabei durch Sexualisierung und Verkindlichung zu Werbezwecken instrumentalisiert und damit wieder ins Private gedrängt. Männer hingegen werden mächtig und selbstwirksam im gesellschaftlichen Raum inszeniert. Nun bedingen sich Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung gegenseitig und sind nicht von einander zu trennen. Ebenso lässt sich das soziale Gefüge, in dem sich jeder Mensch bewegt, nicht sauber in Berufs- und Privatleben trennen. Auf Wahrnehmung folgt unmittelbar Bewertung, die mit den entsprechenden Emotionen und Handlungen einhergeht. 

Gläserne Decke

Wenn Frauen es schaffen, in Führungspositionen vorzudringen, beschränkt sich dies vornehmlich auf das mittlere Management. Darüber scheint eine sogenannte ‚gläserne Decke’ zu schweben, die ihren Aufstieg blockiert. Dieser liegt vor, wenn die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern nicht durch arbeitsbezogene Eigenschaften erklärbar ist, im Laufe der Karriere zunimmt und auch nicht einer anderen Diskriminierung zuzuordnen ist. Studien konnten diesen Effekt sowohl für schwarze Frauen als auch für Frauen mit weißer Hautfarbe als signifikant bestätigen. Die Gegenprobe bei entsprechenden männlichen Probanden blieb ergebnislos. 

Ein neuer Stil

Eine wachsende und immer komplexer werdende berufliche Umgebung erfordert eine Veränderung des Führungsstils von dominant und aufgabenorientiert in Richtung partizipativ und bindungsorientiert. Führung ähnelt heute mehr Coaching und Projektleitung, partizipative Entscheidungen profitieren von immer komplexer werdender Fachkompetenz. Auch wenn der moderne Führungsstil dadurch zunehmend weibliche Elemente inkludiert und einlädt, löst das noch immer nicht das Problem. Wenn man sich die Zusammensetzung der Frauen in Führungsetagen anschaut, fällt auf, dass besonders Mütter seltener anzutreffen sind. 

Verlierer auf ganzer Linie

Zusammengefasst bedeutet das: Frauen werden auf ihrem Weg in eine Führungsposition von allen Seiten recht argwöhnisch beäugt und kompensieren mit der größten Kraftanstrengung, möglichst nicht sie selbst zu sein. Weil sie dann nicht dem allgemeingültigen Bild einer typischen Frau entsprechen, büßen sie in beide Richtungen der Hierarchie Sympathie ein, was mit hoher psychologischer Belastung einhergeht. Der Lohn dafür ist eine schlechtere Bezahlung bei bestenfalls gleicher Leistung. Dafür verzichten sie auf Familie.

Vergebliche Suche

Nun wollen Frauen aber nicht einfach nur mehr in Führungspositionen – sie wollen ein erfülltes Leben, ohne ihr Wesen ablehnen zu müssen. Dazu bräuchte es neben gleichberechtigten Bedingungen in Bildung, Arbeit, Familie und Alter auch in der Familienphase eine Umwelt, die ihnen das ermöglicht. Stattdessen sehen sie sich einem Bildungs-, Sozial- und Steuersystem gegenüber, welches sie in die Teilzeit drängt, anstatt durch eine qualitativ hochwertige Ganztagsbetreuung mit flexiblen Betreuungszeiten Anreize für eine gleiche Arbeitsverteilung zwischen den Geschlechtern zu schaffen.

Vielleicht sucht er deshalb noch heute, der moderne Betriebsführer. Interessanterweise hatte das bereits unser Artikelschreiber im Jahr 1951 in der Zeit festgestellt.

„Trotz des wesentlichen Anteils der Frau an dem Berufsleben wird das öffentliche Leben von ihr kaum mitgeprägt. Sie arbeitet in einer vom Mann geschaffenen Welt.“

Eine gemeinsame Aufgabe

Männer und Frauen müssten gemeinsam die automatische Verknüpfung des biologischen Geschlechts mit Versorger- oder Betreuerrolle nach traditionellem Rollenverständnis lösen, welches den Mann ökonomisch bevorteilt und die Frau in Abhängigkeit, Überforderung und Altersarmut zwingt. In Zeiten von Digitalisierung und Homeoffice bestehen gute Chancen für eine weitere Durchsetzung moderner Arbeitszeitmodelle und entwicklungsorientierter Führungsstile. Unternehmen können hier einen Beitrag leisten, in dem sie eine Änderung ihrer Unternehmenskultur in diese Richtungen anstreben, partizipative Führung in den Führungsgrundsätzen verankern, Sexualisierung nicht mehr als Werbeinstrument benutzen, über die Thematik aufklären und dabei besonders den Fokus auf den Prozess der Stereotypisierung lenken. Vor Ort und prozessbegleitend könnten sie das Ungleichgewicht transparent hinterfragen. Mit dem dadurch veränderten Bewusstsein wird auch eine Änderung der Realität entstehen.

Gesellschaft im Spiegel

Den Unternehmen können wir die Lösung des Problems ebenso wenig aufzwingen wie der Sprache. Das generische Femininum des Wortes ‚Führungskraft‘ nehmen wir als männlich wahr, weil es unsere Realität widerspiegelt. Weder durch grammatikalische Modifizierung noch durch eine Quote ändern wir die sozioökonomischen Umstände von Frauen. Das können wir nur gemeinsam als Gesellschaft. Und was die Sprache angeht, es ist genauso ein Irrglaube, anzunehmen, wir könnten sie durch verpflichtende Einflussnahme beherrschen. Mit ihrem stets rückwärts gerichteten Blick ist sie uns doch einen Schritt voraus. Sie hält uns den Spiegel vor und spricht damit bekanntlich eher uns als wir sie.

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